AUSWIRKUNGEN DER COVID-19-KRISE AUF DEN STEUERRECHTLICHEN WOHNSITZ VON PRIVATPERSONEN

Die COVID-19-Pandemie hat die meisten Länder, darunter auch Spanien, zur Einschränkung der Freizügigkeit der Menschen gezwungen, z.B. durch Quarantänen und Beschränkungen für internationale Flüge. Infolge dieser Maßnahmen sehen sich viele Menschen gezwungen, in einem anderen Land als ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsland zu bleiben und von dort aus zu arbeiten. Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit sich diese Situation auf den steuerlichen Wohnsitz einer Person auswirken kann?

Der steuerliche Wohnsitz einer natürlichen Person bestimmt sich in erster Linie nach der Steuergesetzgebung eines Staates, in dem sie ein relevantes wirtschaftliches oder persönliches Interesse hat. Insbesondere ist eine natürliche Person neben anderen Fällen dann steuerlich in Spanien ansässig, wenn sie sich länger als 183 Tage im Kalenderjahr auf spanischem Staatsgebiet aufhält, unabhängig davon, ob es sich um einen kontinuierlichen oder unterbrochenen Aufenthalt handelt. Das Gesetz sieht bezüglich der Berechnung keine Ausnahmen vor, sodass auch die Tage berücksichtigt werden müssen, an denen sich die Person aufgrund von Quarantäne, der Streichung internationaler Flüge oder Krankenhausaufenthalten in Spanien befindet, d.h. unfreiwillig.

Einige Länder, wie das Vereinigte Königreich, Irland und Australien, haben klargestellt, dass sie bei der Bestimmung des steuerlichen Wohnsitzes einer natürlichen Person nicht die Zeit berücksichtigen werden, die sich diese infolge der COVID-19-Krise in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten hat. Bislang hat die spanische Steuerbehörde in dieser Angelegenheit weder Stellung bezogen, noch wurde eine Ausnahmeregelung erlassen, die Tage eines erzwungenen Aufenthalts aufgrund von Umständen höherer Gewalt wie den genannten bei der Berechnung außen vor zu lassen.

Wenn die Ausdehnung der Freizügigkeitsbeschränkungen dazu führt, dass eine Person im Jahr 2020 als in Spanien steuerlich ansässig betrachtet wird und auch gleichzeitig in einem anderen Staat steuerlich ansässig ist, müssen die im anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen tie-breaker rules zur Anwendung kommen, die die Streitigkeit zugunsten eines der beiden Staaten entscheidet. Sofern ein entsprechendes anwendbares Abkommen existiert, kann man nur in einem der beiden Länder steuerlich ansässig sein. Die meisten Abkommen legen fünf Kriterien fest, die nacheinander anwendbar sind (d.h. man geht nur dann zum nächsten über, wenn es nicht möglich ist, den Steuersitz auf Grundlage eines vorrangigen Kriteriums zu bestimmen). So wird eine natürliche Person in dem Staat steuerlich ansässig sein, in dem ihr eine ständige Wohnstätte zur Verfügung steht; andernfalls in dem Staat, mit dem sie die engsten persönlichen und wirtschaftlichen Bindungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen); ansonsten in dem Staat, in dem sie gewöhnlich wohnt; andernfalls in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Kann die Frage nicht auf der Grundlage der oben genannten Kriterien gelöst werden, haben die Staaten den Steuersitz im gegenseitigen Einvernehmen festzulegen.

Angenommen, eine natürliche Person, die in Staat A steuerlich ansässig ist, wurde in Staat B, in dem sie sich vorübergehend zu beruflichen oder privaten Zwecken aufhielt, von der angeordneten Quarantäne überrascht und gilt infolge der Verlängerung der außerordentlichen Maßnahmen nun nach den innerstaatlichen Vorschriften von Staat B als steuerlich ansässig, weil sie die in diesem Staat geltende Mindesttagesanzahl verbracht hat. Der Konflikt wird in der Regel mit dem Kriterium der dauerhaften Wohnstätte gelöst, da es unwahrscheinlich ist, dass der Person im Staat B eine dauerhafte Wohnstätte zur Verfügung steht (z.B. bei einem Hotel- oder Krankenhausaufenthalt). Es ist aber zu bedenken, dass eine Wohnung, die für einen bestimmten Zeitraum im Staat B angemietet wird, die Berücksichtigung dieses Kriteriums verhindern würde, sofern die Person über anderen Wohnungen in Staat A verfügt, was wahrscheinlich ist. In einem solchen Fall wird das Kriterium des Mittelpunkts der Lebensinteressen aller Wahrscheinlichkeit nach zugunsten von Staat A ausgelegt werden, da davon ausgegangen werden kann, dass die Person keine hinreichenden persönlichen und wirtschaftlichen Bindungen zu dem anderen Staat haben wird.

Denkbar ist auch ein anderes Szenario: eine Person, die sich normalerweise in Staat A (wo sie als steuerlich ansässig gilt) aus beruflichen Zwecken für einige Jahre aufhält, beschließt infolge der COVID-19-Krise, vorübergehend in ihren Heimatstaat B zurückzukehren, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, um von dort aus zu arbeiten und nach Beendigung der Pandemie in Staat A zurückzukehren. Staat B könnte die Person als steuerlich ansässig betrachten, was die Anwendung der tie-breaker rules des Abkommens notwendig machen würde.

Wir müssen davon ausgehen, dass diesen im Ausland lebenden Arbeitnehmern in beiden Staaten Wohnstätten zur Verfügung stehen, so dass das erstgenannte Kriterium für die Lösung dieses Konflikts nicht hilfreich sein wird. Ebenso wenig hilft das Kriterium des Mittelpunktes der Lebensinteressen, da es nicht ungewöhnlich ist, dass wirtschaftliche und persönliche Interessen in verschiedenen Staaten angesiedelt sind. Daher muss der steuerliche Wohnsitz zugunsten des Staates bestimmt werden, in dem die Person gewöhnlich wohnt. Diese Frage lässt sich nicht einfach durch einen Vergleich der Anzahl der in den einzelnen Staaten verbrachten Tage lösen, sondern muss laut der Mitteilung des OECD-Generalsekretariats “Analysis of Tax Treaties and the Impact of the COVID-19 Crisis”, unter Berücksichtigung der Häufigkeit, Dauer und Regelmäßigkeit der routinemäßigen Aufenthalte der Person bestimmt werden. Natürlich passt ein Aufenthalt, der durch eine Situation höherer Gewalt wie die des COVID-19 verursacht wurde, nicht in dieses Kriterium, sodass der Zeitraum, der zur Feststellung der Gewohnheit zu prüfen ist, gegebenenfalls verlängert werden sollte. Eine durch die Pandemie bedingte Ortsveränderung kann daher nicht als gewohnheitsmäßig betrachtet werden.

In jedem Fall ist es ratsam, dass Personen, die gezwungen sind, während der COVID-19-Krise in einem anderen als dem Staat zu bleiben, in dem sie steuerlich ansässig sind, die Beweise für den außerordentlichen Charakter ihres Aufenthalts (wie Flugannullierungen, Haftanordnungen oder Nachweise für einen Krankenhausaufenthalt) aufbewahren, um sie gegebenenfalls den Steuerbehörden dieses Landes nachweisen zu können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Ermangelung eines Kriteriums der spanischen Steuerbehörde über die Auswirkungen der COVID-19-Krise auf den steuerlichen Wohnsitz von natürlichen Personen eine individuelle Prüfung notwendig ist, um im konkreten Fall die Risiken des Auftretens einer Situation der Doppelbesteuerung zu prüfen und geeignete Lösungen zu finden, um diese zu vermeiden.

Stand: 09.04.2020