COVID-19 AUSSERORDENTLICHE MASSNAHMEN IM BEREICH DES INSOLVENZRECHTS WÄHREND DER KRISE

Die in Spanien zur Bewältigung der durch COVID-19 verursachten Gesundheitskrise ergriffenen Eindämmungsmaßnahmen haben bei vielen Unternehmen zu enormen Verlusten und Liquiditätsschwierigkeiten geführt. Die spanische Regierung hat mittels Königlichem Gesetzesdekret 16/2020 vom 28. April ein Maßnahmenpaket verabschiedet, mit dem drei Zielen verfolgt werden: Erstens, den Unternehmen durch Anreize zur Refinanzierung Zeit zu geben, damit sie ihre finanzielle Lage verbessern können, ohne in ein Insolvenzverfahren zu geraten; zweitens, die Fortführung des Unternehmens zu erleichtern, um die bereits geschlossenen Insolvenzvereinbarungen oder Refinanzierungsvereinbarungen zu erfüllen; und drittens, das Insolvenzverfahren angesichts der absehbaren Lawine von eingehenden Insolvenzanträgen zu beschleunigen.

1. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Das erste angestrebte Ziel des Maßnahmenpakets wird durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Jahr 2020 verwirklicht:

  • Bis zum 31. Dezember 2020 besteht für zahlungsunfähige Schuldner keine Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen. Damit soll vermieden werden, dass die Nichteinhaltung der Zweimonatsfrist für die Einreichung eines solchen Antrags dazu führt, dass die Insolvenz als schuldhaft eingestuft wird und unter Umständen eine persönliche Haftung der Geschäftsführer nach sich zieht. Gleichzeitig wird dem Unternehmen ein Zeitraum eingeräumt, in dem es Schulden umstrukturieren, seine Liquiditätssituation verbessern und Verluste ausgleichen kann.
  • Für die Aussetzung ist es nicht entscheidend, ob die Insolvenz infolge der COVID-19-Krise eingetreten ist oder nicht; wenn jedoch am 14. März 2020 (Beginn der Notstandssituation) die allgemeine Frist von 2 Monaten, die dem Schuldner zum Insolvenzantrag zur Verfügung stand, bereits abgelaufen war, wird diese Frist durch die neue Maßnahme nicht wieder in Gang gesetzt.
  • Der Schuldner ist auch nicht verpflichtet, das Gericht über die Aufnahme von Verhandlungen mit den Gläubigern zu informieren („Vor-Insolvenzverfahren“). Tut er dies aber vor dem 30. September 2020, gelten die allgemeinen Regeln, d.h. der Schuldner hat 3 Monate Zeit zu verhandeln und ist verpflichtet, im folgenden Monat einen Insolvenzantrag zu stellen, sofern die Verhandlungen scheitern oder die Zahlungsunfähigkeit weiterhin besteht.
  • Bis zum 31. Dezember 2020 werden Insolvenzanträge durch Dritte (in der Regel von Gläubigern) nicht angenommen. Sofern der Antrag vom Schuldner vor diesem Datum selbst gestellt wird, wird dieser bevorzugt bearbeitet, selbst wenn er zeitlich später gestellt wurde, auch wenn er zeitlich nach dem Antrag eines Gläubigers gestellt wird. Damit wird das Insolvenzverfahren als freiwillig angesehen.

Darüber hinaus wird mit dem Königlichen Gesetzesdekret 16/2020 versucht, die Kapitalzuführung von Unternehmen, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken zu fördern:

  • Ab dem 14. März 2020 entstandene Forderungen aus Darlehen oder gleichwertigen Forderungen von Personen, die in besonderer Beziehung zum Schuldner stehen (z.B. Gesellschafter, Geschäftsführer oder Unternehmen derselben Gruppe), werden als gewöhnliche Forderungen betrachtet (und nicht als nachrangige Forderungen), sofern bis zum 14. März 2022 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wird.

  • Sofern eine in besonderer Beziehung zum Schuldner stehende Person ab dem 14. März 2020 eine Schuld des Schuldners begleicht und infolgedessen in die Position des Gläubigers eintritt, gilt die Forderung, die sie durch den Forderungsübergang erwirbt, ebenfalls als gewöhnliche (und nicht als nachrangige Forderung), wenn über das Vermögens des Schuldners bis zum 14. März 2022 ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Die ursprüngliche Forderung muss allerdings entweder gewöhnlich oder vorrangig sein (womit nachrangige Forderungen ausgeschlossen sind).

2. Refinanzierungsmaßnahmen für Unternehmen

Diese Maßnahmen zielen darauf ab, die Änderung bestehender Insolvenzvereinbarungen, außergerichtlicher Zahlungsvereinbarungen oder gerichtlich anerkannter Refinanzierungsvereinbarungen zu erleichtern, wenn diese aufgrund der durch den COVID-19 verursachten Wirtschaftskrise nicht eingehalten werden können:

  • Es wird das Mittel der Neuvereinbarung eingeführt: Ein Schuldner, der sich an eine Insolvenzvereinbarung hält, kann bis zum 14. März 2021 beim Insolvenzgericht einen Änderungsvorschlag einreichen, zusammen mit einem Rentabilitätsplan und einem neuen Zahlungsplan. Im Allgemeinen wird der Schuldner längere Wartezeiten und/oder höhere Schulderlässe als die ursprünglich genehmigten vorschlagen. Diese Maßnahme stellt eine außerordentliche Erleichterung für den Insolvenzschuldner dar, da die allgemeinen Vorschriften die Änderung einer bereits genehmigten Vereinbarung nicht zulassen, so dass die einzige Lösung im Falle der Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung der Liquidation ist.

Der Vorschlag der Neuvereinbarung muss schriftlich eingereicht werden und erfordert die gleichen Mehrheiten wie die ursprüngliche Vereinbarung, die abgeändert werden soll. Auf diese Weise kann ein Schulderlass über 50 % und/oder Stundungen von mehr als 5 Jahren vereinbart werden, sofern 50 % der Gläubiger von gewöhnlichen Forderungen zustimmen.

Die Neuvereinbarung betrifft weder solche Forderungen, die während des Zeitraums der Erfüllung der ursprünglichen Vereinbarung entstanden sind, noch auf vorrangige Forderungen, es sei denn, die Gläubiger solcher Forderungen stimmen für die vorgeschlagene Änderung oder treten dieser ausdrücklich bei.

  • Die Pflicht des Schuldners zur Beantragung der Liquidationsphase wegen Unmöglichkeit der Erfüllung der Insolvenzvereinbarung oder wegen nach seiner Genehmigung übernommenen Verpflichtungen wird bis zum 14. März 2021 ausgesetzt, sofern der Schuldner einen Vorschlag zur Neuvereinbarung einreicht und dieser während der genannten Frist zur Überprüfung zugelassen wird. Während dieser Zeit wird das Insolvenzgericht die Liquidationsphase nicht eröffnen, selbst wenn ein Gläubiger einen entsprechenden Antrag stellt und die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nachweist.
  • Stellt ein Gläubiger bis zum 14. September 2020 einen Antrag zur Erklärung über die Nichterfüllung der Insolvenzvereinbarung wird das Gericht diesen Antrag nicht zulassen, sofern bis zum 14. Dezember 2020 ein Vorschlag zur Neuvereinbarung durch den Schuldner eingereicht wird, welcher vorrangig geprüft wird.
  • Die vorhergenannten Maßnahmen finden gleichfalls auf die außergerichtlichen Zahlungsvereinbarungen (selbst wenn diese sehr unüblich sind) Anwendung.
  • Um die Gewährung von fresh money zu fördern, wird klargestellt, dass Forderungen aus Bareinnahmen in Form von Darlehen, gleichwertigen Instrumenten oder Garantien, einschließlich solcher, bei denen der Gläubiger eine Person mit einer besonderen Beziehung zum Schuldner ist, bis zum 14. März 2022 als Forderungen gegen die Masse eingestuft werden, wenn die Vereinbarung oder Neuvereinbarung nicht eingehalten wird (und daher die Liquidationsphase eröffnet wird). In der Vereinbarung oder der Neuvereinbarung müssen die Identität des Gläubigers sowie der Höchstbetrag der Finanzierung oder Garantie angegeben werden.

  • Die Änderung gerichtlich genehmigter Refinanzierungsvereinbarungen (die einen Insolvenzantrag verhindern sollen) wird auf ähnliche Weise erleichtert wie die Insolvenzvereinbarung: Bis zum 14. März 2021 kann der Schuldner dem Gericht mitteilen, dass er Verhandlungen mit seinen Gläubigern zur Änderung der bestehenden Vereinbarung oder zum Abschluss einer neuen Vereinbarung aufgenommen hat oder aufzunehmen beabsichtigt, auch wenn seit dem vorherigen Antrag auf gerichtliche Genehmigung noch kein Jahr vergangen ist. Diese Mitteilung entspricht der des Artikels 5bis des Insolvenzgesetzes (“Vor-Insolvenzverfahren”), die einen Insolvenzantrag verhindern soll und bestimmte Vollstreckungen für einen Zeitraum von 3 Monaten aussetzt.
  • Beantragt ein Gläubiger die Erklärung über die Nichterfüllung einer gerichtlich anerkannten Refinanzierungsvereinbarung bis zum 14. September 2020, wird das Gericht den Antrag nicht zulassen, sofern der Schuldner bis zum 14. Oktober 2020 mitteilt, dass er mit seinen Gläubigern Verhandlungen über die Änderung einer Vereinbarung oder über den Abschluss einer neuen Vereinbarung aufgenommen hat oder aufzunehmen beabsichtigt, selbst wenn seit dem vorherigen Antrag noch kein Jahr vergangen ist. Wenn innerhalb von 3 Monaten nach dieser Mitteilung keine Einigung erzielt wird, lässt das Gericht den Antrag auf Erklärung über die Nichterfüllung zu.

 

3. Maßnahmen zur Beschleunigung und Vereinfachung von Insolvenzverfahren

Das Königliche Gesetzesdekret 16/2020 führt folgende Maßnahmen ein, um die zu erwartende Zunahme der Arbeitsbelastung der Handelsgerichte zu mindern:

  • In den bereits eröffneten sowie den bis zum 14. März 2021 eröffneten Insolvenzverfahren wird die Versteigerung der Vermögenswerte und Rechte der Aktivmasse notwendigerweise außergerichtlich (d.h. notariell) erfolgen, unabhängig davon, was der Liquidationsplan vorsieht. Eine Ausnahme gilt für den Verkauf von Unternehmenseinheiten, der nach den allgemeinen Regeln durch gerichtliche oder außergerichtliche Versteigerung oder durch Direktverkauf erfolgen kann.
  • Bis zum 14. März 2021 werden bestimmte Verfahren und Handlungen als dringend (d.h. vorrangig) behandelt: insolvenzrechtliche Nebenverfahren, der Kauf von Unternehmenseinheiten oder mehrerer Aktiva, Vereinbarungsvorschläge oder Vorschläge hinsichtlich Neuvereinbarungen (sowie Widersprüche gegen deren Annahme), die gerichtliche Anerkennung von Refinanzierungsvereinbarungen oder deren Änderung, einstweilige Maßnahmen oder solche, die das Gericht zum Erhalt der Masse anordnet.
  • Das insolvenzrechtliche Nebenverfahren zur Anfechtung des Inventars und der Gläubigerliste in den bis zum 14. März 2020 eröffneten Insolvenzverfahren wird vereinfacht: Es werden ausschließlich Urkunden- und Sachverständigenbeweise zugelassen, die der Klageschrift und der Klageerwiderung beizufügen sind. Eine Anhörung findet nicht statt, es sei denn das Gericht ordnet eine solche an. Die Nichteinreichung einer Klageerwiderung wird mit einem Anerkenntnis, gleichgesetzt, außer im Falle von öffentlich - rechtlichen Gläubigern.
  • Das Verfahren zur Genehmigung eines Liquidationsplan, welches normalerweise mehrere Monate dauert, wird vereinfacht: sofern im Beendigungszeitpunkt der Notstandssituation bereits 15 Tage vergangen sind, ab Mitteilung des Plans an das Gericht, wird der Richter diesen genehmigen, ändern oder die Liquidation gemäß den Zusatzbestimmungen anordnen. Es wird also auf den Bericht des Insolvenzverwalters verzichtet.
  • Das Verfahren hinsichtlich außergerichtlicher Zahlungsvereinbarungen wird vereinfacht: das Verfahren gilt als erfolglos versucht, wenn bis zum 14. März 2021 mindestens zwei Insolvenzmediatoren die Position abgelehnt haben. In der Praxis ist der Versuch, eine außergerichtlichen Zahlungsvereinbarung zu erreichen, eine reine Formsache, um in den Genuss der Restschuldbefreiung zu kommen (sog. zweite Chance für den Schuldner), die früher aufgrund der Weigerung der meisten Insolvenzmediatoren, die Position anzunehmen, zeitlich verlängert wurde.

(aktualisiert gemäß Königlichem Gesetzesdekret 16/2020 vom 28. April)

30.04.2020

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